Sie trägt mit absoluter Überzeugung ein Tattoo an ihrem Oberarm – „Fighter“. Ich glaube ein passenderes Wort für Jessi gibt es nicht. Sie ist eine Kämpferin, seit der Geburt an. Diese begann aber auch schon viel eher, als bei anderen Menschen. Jessie kam im 4. Monat ihrer Entwicklung zur Welt. Sie ist ein Frühchen. Was das genau für sie und ihr Leben bedeutet, wird sie euch in dem folgenden Text erläutern.

„Ich bin Jessie und 37 Jahre alt. Ich wurde fast 4 Monate zu früh geboren und habe eine Spastisch-Diplegische Cerebral-Parese (vom Gehirn ausgehende inkomplette Lähmung beider Beine, mit einer zu hohen, unkontrollierbaren Muskelspannung), da ich nach der Geburt eine Hirnlähmung und Hirnbluten hatte. Nach einem Besuch beim Kinderpsychologen, der bestätigen musste, dass ich geistig fit bin, wurde ich mit 5 Jahren das erste Mal operiert. Mir wurden unter anderem die Achillessehnen verlängert und die Kniebeugesehnen durchtrennt. Mit jeder Menge Physio und Training konnte ich dann mit 6 das erste mal laufen und mir endlich meinen bis dato größten Wunsch erfüllen: Ich durfte in die Schule. Mein Gangbild war aber nie so, wie das von anderen und dadurch wurde meine Schulzeit keine einfache. Ich war das perfekte Mobbing-Opfer. Es gab gemalte Bilder von mir mit extremen X Beinen oder Silvesterknaller, die mir hinterher geworfen wurden.

Da mein Gangbild mit den Jahren immer unschöner wurde bin ich, nach Abschluss meiner Berufsausbildung und ein paar Jahren Arbeit, auf die Idee gekommen mir beide Beine brechen zu lassen (Umstellungs-Osteotomie). Die Beine wurden oberhalb des Knies “gebrochen“, nach außen gedreht und mit Titanplatten und Schrauben fixiert. Nach ein paar Monaten Heilungsphase (Rollstuhl), kam ich dann für fast 5 Monate in die stationäre Reha, in der ich komplett neu laufen lernen musste. Hätte mir jemand vorher gesagt, wie kompliziert Laufen ist, hätte ich es nicht geglaubt. Ein paar Monate nach der Reha, nachdem ich fast ohne Hilfsmittel laufen konnte, brach im rechten Bein die Platte, sodass ich also nochmal operiert wurde und wieder in die Reha musste.

Ich habe aufgrund meines Krankheitsbild schon immer Probleme mit dem Darm, was von Vollnarkose zu Vollnarkose immer schlimmer wurde. So kam es, dass sich nur ein paar Monate nach der 2. Reha, mein Dünndarm um die eigene Achse gedreht hat. Als ich im Krankenhaus ankam hatte ich schon innere Blutungen. Ich musste zweimal notoperiert werden und mir wurden der Blinddarm sowie zwei Drittel meines Dünndarms entfernt. Es war nicht klar, ob ich überleben werde. Aufgeschnitten vom Brustbein bis zum Schambein lag ich 3 Tage im künstlichen Koma. Es ist ein komisches Gefühl, wenn man wach wird, sich nicht bewegen kann, nicht mehr weiß was passiert ist und einem Tage fehlen. Mit viel Ergo- und Physiotherapie konnte ich nach ein paar Wochen wieder nach Hause. Die ersten Wochen zu Hause musste ich noch Beruhigungs- oder auch Schlaftabletten nehmen, da ich manchmal Panikattacken oder nachts Alpträume hatte.

Aktuell laufe ich, wenn ich alleine unterwegs bin, am Rollator. In gewohnter Umgebung, meiner Wohnung, bei meinen Eltern oder bei Freunden klappt es ohne. Rein physisch kann ich ohne Hilfsmittel laufen, aber mein Kopf spielt da leider oft nicht mit. Trotz der ganzen Operationen, und den Narben, die mein Körper in den Jahren gesammelt hat,  hatte ich doch eine Menge Glück. Es hätte alles schlimmer kommen können.

Das alles hat mich gelehrt, dass man nie aufhören darf zu kämpfen.

Auch, wenn es och so viel Blut, Schweiß und Tränen kostet! AUFGEBEN IST KEINE OPTION!!!“

… und einen kleinen Satz hat mir Jessie noch nachträglich zukommen lassen, der mich unfassbar glücklich macht: 

„Ich war und bin ein Mensch, der mit seiner Leistung, gerade was das Laufen angeht, nie zufrieden ist. Ich gehe oft an meine Grenzen und darüber hinaus, weil ich mir immer sage, dass es noch besser geht. Durch das Projekt, und durch deine schönen Bilder habe ich gelernt, dass man auf sich und auf das, was man in seinen Leben schon alles gemeistert hat, stolz sein kann. Du hast da was tolles erschaffen und ich bin froh, dass ich ein Teil davon sein darf!“

DANKE DIR, dass Du ein Teil vom Projekt bist und mit deiner Geschichte und deiner unglaublichen Willensstärke allen anderen Mut machst, liebe Jessie. Du bist ein wundervoller und starker Mensch. Mach weiter so! ♥